Anfang Juni hatte ich, Antonio Zeitz, die Gelegenheit, an einer besonderen Einführungsveranstaltung des Begabtenförderwerks der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn teilzunehmen. Als Stipendiat lernte ich dort nicht nur die Grundsätze und die Arbeitsweise der Stiftung kennen, sondern kam auch mit rund 50 jungen Erwachsenen aus ganz Deutschland ins Gespräch.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand der Austausch. Es ging darum, die Prinzipien sozialer Demokratie zu verstehen, sich mit gesellschaftlichen Herausforderungen auseinanderzusetzen und gemeinsam Antworten zu finden. Die Stiftung fördert junge Menschen, die sich durch besonderes Engagement und gute Leistungen auszeichnen. Sie steht für eine Politik von Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität.
Viele von uns, mich eingeschlossen, waren die Ersten in ihren Familien, die ein Studium aufgenommen hatten. Alle engagieren sich ehrenamtlich, sei es in der Politik, im sozialen Bereich oder im Umwelt- und Bildungssektor. Einige kamen aus Großstädten wie Berlin, Dresden, Hannover oder Stuttgart, andere aus ländlicheren Gegenden wie dem Landkreis Meißen, Hammersbach oder wie ich aus Güntersleben.
Unsere Lebensrealitäten unterscheiden sich deutlich. Die Herausforderungen in einer Metropole sind anders als auf dem Land. Und doch verbindet uns etwas Grundsätzliches: Der Wunsch nach einer gerechteren, solidarischeren und offeneren Gesellschaft.
Wir sprachen über große Begriffe wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Es ging um Rassismus, gesellschaftliche Spaltung und politische Ohnmacht, aber auch um Hoffnung, persönliche Verantwortung und die Frage, was jeder von uns tun kann, um Veränderungen anzustoßen.
Diese vier Tage in Bonn zeigten mir, wie wertvoll der Dialog gerade mit Menschen aus ganz anderen Lebenswelten ist. Sie machten mir klar, dass gesellschaftliches Engagement nicht bei theoretischen Konzepten stehen bleiben darf, sondern dort beginnt, wo Menschen bereit sind, sich vor Ort konkret und gemeinsam einzubringen.
Was konnte ich für meine Arbeit in Güntersleben lernen?
Besonders geprägt haben mich die Gespräche mit Lukas Neubauer, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Jusos Südpfalz. Wir haben über die Unterschiede zwischen Stadt und Land gesprochen, über das, was Menschen in ihrem Alltag beschäftigt und darüber, wie unterschiedlich politische Ansätze je nach Lebensumfeld wahrgenommen werden. Zwischen klassischen sozialdemokratischen Überzeugungen und progressiveren Plattformen gibt es viele Reibungspunkte, aber auch viel Potenzial für Austausch.
Diese Gespräche haben mir gezeigt, wie leicht man sich in seiner eigenen Perspektive sicher fühlt. Doch politische Arbeit beginnt genau dort, wo man bereit ist, sich auf andere Blickwinkel einzulassen, auch wenn sie herausfordernd sind. Ein Beispiel dafür ist das Thema Sprache und gesellschaftlicher Wandel. Ein Punkt, der oft emotional diskutiert wird.
Es ist nachvollziehbar, dass viele Menschen Teilen dieses Wandels skeptisch begegnen. Wenn beim Vereinsfest oder am Küchentisch plötzlich Begriffe in Frage gestellt werden, die man über Jahrzehnte benutzt hat, kann das irritieren. Manche empfinden es als unnötig, andere als bevormundend. Genau da entstehen oft Missverständnisse.
Geschlechtsneutrale Sprache, neue Begriffe oder veränderte Umgangsformen wirken auf manche Menschen wie ein Bruch mit Vertrautem. Doch es handelt sich nicht immer um einen Wandel, der von außen aufgedrückt wird. Sprache verändert sich, und das war schon immer so. Meistens langsam und im Alltag. Auch wenn nicht jede Veränderung sofort Zustimmung findet, lohnt es sich, offen für die Gedanken dahinter zu bleiben. Es geht nicht um Zwang, sondern darum, möglichst viele Menschen sprachlich mitzunehmen. Denn es ist wichtig ein Verständnis dafür zu schaffen, welche Signale man mit seiner Sprache sendet.
Für mich war wichtig zu verstehen, dass es nicht darum geht, Traditionen aufzugeben. Es geht vielmehr darum, sie mit Respekt weiterzutragen und gleichzeitig Raum für neue Perspektiven zu schaffen. Beides kann nebeneinander bestehen – die Wertschätzung für das Gewohnte und die Offenheit für Veränderung.
Diese Haltung ist nicht nur eine persönliche Einsicht, sie prägt auch meine politische Arbeit vor Ort. In Güntersleben geht es uns nicht primär darum, welche Begriffe wir verwenden, sondern wie wir miteinander umgehen. Es geht um den Austausch, Wertschätzung und vor allem Respekt. Wie wir unser Zusammenleben gestalten, ob im Vereinsleben, im Alltag oder in der Politik. Wie wir unseren Ort für Jung und Alt lebendig halten und dabei niemanden zurücklassen. Nicht die, die schon lange hier leben, und auch nicht die, die neu dazukommen.
Denn eines ist klar: Gemeinschaft funktioniert nur, wenn alle dazugehören können. Nicht durch Ausgrenzung, nicht durch Härte und auch nicht durch Gleichgültigkeit. Fortschritt heißt nicht, das Bekannte zu verdrängen. Fortschritt heißt, dem Neuen nicht vorschnell die Tür zu verschließen, besonders dann nicht, wenn es anderen Würde, Anerkennung und Teilhabe ermöglicht.
Was ich aus dieser Erfahrung mitnehme: Politik lebt vom Dialog, nicht von Rechthaberei. Von der Bereitschaft, das Eigene zu hinterfragen, ohne sich selbst zu verlieren. Ich habe gelernt, dass man nicht immer sofort Antworten braucht. Aber man sollte bereit sein, sich auf die Fragen einzulassen. Und das beginnt nicht erst in Berlin, sondern schon genau hier in Güntersleben.
Was konnte ich von uns aus Güntersleben mitgeben?
Gemeinsam mit Noah Frey aus dem SPD-Kreisverband Göppingen habe ich versucht, unsere Sicht auf die Dinge einzubringen, die Perspektive junger Menschen im ländlichen Raum. Uns war wichtig zu zeigen: Die Ideen aus den Städten sind wertvoll und zukunftsweisend. Aber sie treffen nicht überall auf die gleiche Realität.
Auf dem Land geht es oft um praktische Fragen: Wie komme ich zur Arbeit, zur Schule, zum Arzt? Wie schaffen wir es, junge Menschen zum Bleiben zu bewegen: Mit guten Angeboten, bezahlbarem Wohnraum, verlässlicher Mobilität? Und wie gestalten wir unseren Ort so, dass er auch in Zukunft lebendig bleibt?
Dabei darf die ältere Generation nicht vergessen werden. Es ist ein zentrales Anliegen, Menschen ein gutes Leben im Alter zu ermöglichen – in der eigenen Gemeinde, im vertrauten Umfeld. Es braucht Strukturen, die Teilhabe und Versorgung im Alter sichern. Nicht irgendwo, sondern hier bei uns vor Ort.
Im Kern geht es um eines: Niemanden verlieren, weder durch Abwanderung noch durch Isolation. Weder die Jüngeren noch die Älteren. Unsere Orte leben vom Miteinander und das entsteht durch Zuhören und durch gemeinsames Gestalten.
Wir wollten vermitteln: Die Arbeit vor Ort und die Debatten auf größerer Ebene, das sind manchmal unterschiedliche Blickwinkel. Aber beide sind wichtig. Die Kunst besteht darin, sie miteinander zu verbinden, statt sie gegeneinander auszuspielen.
Ich bin dankbar für die Erfahrungen in Bonn und für das, was ich daraus für Güntersleben mitnehmen konnte: Demokratie beginnt nicht erst im Plenarsaal. Sie beginnt dort, wo Menschen mitdenken, mitreden und mitgestalten wollen. Sie lebt da, wo Haltung auf Offenheit trifft, und wo man nicht nur Forderungen stellt, sondern bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Ich habe gelernt zuzuhören, zu hinterfragen und auch standzuhalten, wenn es um die Bedürfnisse vor Ort geht.
Zusammenfassen möchte ich sagen, dass politisches Engagement vom offenen Dialog lebt, vom gegenseitigen Verständnis und vom respektvollen Miteinander, besonders zwischen Stadt und Land, Alt und Jung, Tradition und Wandel. Ich habe in Bonn gelernt, wie wichtig es ist, andere Perspektiven ernst zu nehmen, und dass gesellschaftlicher Fortschritt dort beginnt, wo Menschen gemeinsam gestalten – nicht nur theoretisch, sondern ganz konkret vor Ort, wie bei uns in Güntersleben.
Antonio Zeitz (Stellv. Vorsitzender SPD Güntersleben)


v.l.n.r.: Antonio Zeitz, Noah Frey, Carina Kutschke

Antonio Zeitz