Als ich am 8. November in unserer Maternus-Kirche saß und der Musikverein das Lied „Baba Yetu“ spielte, war ich einfach glücklich. Dieses Stück hatte ich schon einmal beim ökumenischen Gottesdienst zur Eröffnung des Tags der Franken in Haßfurt gehört und schon damals hat es mich tief beeindruckt. Ich fand es wunderbar, dass unser Musikverein, aber auch die Kirche im Generellen, in einer so traditionsreichen Einrichtung den Mut hat, Neues zu wagen. Baba Yetu stammt ursprünglich aus dem Videospiel Civilization IV und bedeutet auf Kiswahili „Vater unser“. Trotz dieser modernen Herkunft, oder vielleicht gerade deshalb, passte es auf eine erstaunlich schöne Weise in diesen Rahmen.
Während ich dort saß, kam mir der Gedanke, wie gut sich hier Tradition und Fortschritt verbinden. Und ich fragte mich, ob uns das auch in anderen Bereichen gelingt, bei mir selbst oder bei uns im SPD-Ortsverein Güntersleben.
Noch im November steht wieder unser Weihnachtsmarkt an. Wenn dieser Artikel erscheint, liegt er wahrscheinlich schon hinter uns. Seit der 900-Jahrfeier organisieren wir von der SPD diesen Markt, zuerst gemeinsam mit anderen, später allein. Er ist längst zu einer kleinen, liebgewonnenen Tradition geworden. Wir in Güntersleben kommen zusammen, um gemeinsam zu essen, zu trinken, zu reden und zuzuhören.
Der Weihnachtsmarkt ist nun aber längst nicht die einzige Aktion, die der Ortsverein plant oder geplant hat. Wenn man nur 50 Jahre in die Vergangenheit blickt, findet man beginnend mit 1976 die SPD-Disco, die Theaterfahrten, die Umwelttage oder Open-Air-Konzerte. Nun haben sich einige Dinge auch verändert. Die Nachfrage ist gesunken, Akteure sind verschwunden oder hinzugekommen, der Zeitgeist ist ein anderer. Kurz: Wir haben uns immer wieder verändert, angepasst, Neues ausprobiert, aber auch Bewährtes weitergeführt. Heute sind wir mit dem Weihnachtsmarkt, dem Ostermarkt und der Putz-Munter-Aktion aktiv. Wie jeder andere Verein sind auch wir beim alljährlichen Ferienprogramm dabei. Das ist eigentlich genau das, was Fortschritt im besten Sinne bedeuten kann: nicht alles neu erfinden, sondern den guten Kern weitertragen und mit der Zeit gehen. Und dieser gute Kern bedeutet für uns, Angebote für alle in Güntersleben zu schaffen, mit dem Ziel, das Dorfleben mit unseren Beiträgen lebendig zu halten.
Obwohl wir das machen, sagen einige scherzhaft „die Roten“, so, als kämen wir von weit her. Aber tatsächlich ist unser Ortsverein nicht nur durch seine Aktionen tief in Güntersleben verwurzelt. Schon seit 1919 gibt es uns hier im Ort, damit sind wir Günterslebens ältester politischer Verein. Ob Gründungsmitglieder, Gemeinderäte, Mitglieder oder Unterstützer, diese Familien waren und sind seit jeher bei uns dabei:
Breunig, Emmerling, Geißler, Höfer, Issing, Kuhn, Lother, Mack, Ulmer, Kilian, Fischer, Weiler, Klos, Wahler, Müller, Amend, Kunkel, Öhrlein, Barnert, Ruck, Amthor, Mainka, Keß, Emmert, Odoj, Schömig, Kolb, Riedl, Stieber, Melching, Sperber, Hechelhammer, Möldner, Menth, Beck, Müller-Haslach, Haslach-Götz, Schnok, Jung, Spitznagel, Bäcker, Schmitt, Degen, Fleder, Grunow, Hübner, Karl, Köhler, Kramer, Lauer, Mehling, Pfeifroth, Scheller, Shentsis, Witznick, Zeitz, Ullrich…
Wir sind die älteste und damit auch traditionsreichste Gruppierung im Ort, oder? Das Vermitteln dieses Wissens selbst wäre per Definition Tradition.
Nach kurzer Recherche zeigt sich: Tradition ist nichts Statisches. Sie lebt davon, dass Menschen ihr Wissen und ihre Haltung, ihre Werte und Handlungen weitergeben, in den Familien, in den Vereinen und auch in der Ortspolitik. Doch kein Mensch ist gleich, nicht jedes Kind wie seine Eltern. Das heißt, unsere Tradition ist uns, den Menschen in Güntersleben, überlassen.
Tradition zu erhalten (conservare – daher stammend „konservativ“) steht für uns alle außer Frage. Wir in Güntersleben pflegen unsere Vereine, unsere Denkmäler, unseren Dialekt und unsere Bräuche und unsere Geschichte. Ob das Maternusfest, das Leiern, das Sternsingen, die Faschingszüge, der Neujahrsempfang, das alles erhalten wir aus eigenem Antrieb. Tradition kann nicht von jemandem eingenommen werden, Tradition ist ein Teil unseres gemeinsamen Selbstverständnisses, etwas, das wir alle vor Ort miteinander tragen und leben.
Dabei ist uns aber eins wichtig: Tradition darf nicht zur Ausrede werden, um stehen zu bleiben. Sie ist eben dann am lebendigsten, wenn sie sich mit der Zeit bewegt. Güntersleben hat das immer bewiesen und wir als Ortsverein tragen diesen Gedanken in uns. Wir halten fest, was unser Dorf ausmacht, und gehen offen auf Neues zu. Wir schauen nach vorn, ohne die Wurzeln zu vergessen. Dieses Gleichgewicht zwischen Bewahren und Verändern prägt unser Zusammenleben in Güntersleben. Es zeigt sich in unseren Vereinen, in unserem Engagement und in unserer Haltung zueinander.
Einen wichtigen Teil dazu tragen auch all jene bei, die in den vergangenen Jahrzehnten neu nach Güntersleben gekommen sind. Nicht alle in unseren Reihen sind hier geboren, viele haben ihren Weg erst später zu uns gefunden und sich aktiv eingebracht. Und gerade dieser Mix tut unserem Ort gut. Güntersleben lebt von diesem Zuzug. Dabei bringen die Verwurzelten die Traditionen ein, die Neuen frische Impulse und neue Perspektiven. Beides zusammen ergibt eine Gemeinschaft, in der Tradition und Fortschritt nicht gegeneinanderstehen, sondern sich gegenseitig stärken.
Also ja, Tradition und Fortschritt lassen sich verbinden, auch bei uns im Ortsverein. Wir erhalten den kulturellen, traditionellen Kerngedanken von Güntersleben, aber wir passen uns an, wenn es Veränderungen gibt. Wir verschließen uns nicht, sondern gestalten mit, so wie es hier schon immer passiert ist.
Als ich an diesem Abend die Kirche verließ, klangen die letzten Töne von Baba Yetu noch in mir nach. Ich dachte daran, wie viel Bewegung und Leben in diesem Lied stecken und wie sehr das zu unserem Ort passt. Güntersleben ist gewachsen aus seiner Geschichte, aber immer offen geblieben für Neues. Und genau dafür stehen auch wir. Für ein Güntersleben, dass seine Tradition bewahrt und seinen Fortschritt lebt.
Für Tradition und Fortschritt.
Antonio Zeitz
Stellv. Vorsitz Ortsverein SPD-Güntersleben
